Mystik mit Haltung: Spiritualität ist mehr als Vertrauen und Mitgefühl

Warum Wehrhaftigkeit, Nein-Sagen und körperliche Präsenz genauso dazugehören.

Ich gebe zu: Wenn mir vor ein paar Jahren jemand gesagt hätte, dass ich mal Kung Fu übe, um meine spirituelle Praxis zu vertiefen, hätte ich leise gelacht.
Vielleicht auch laut.

Mein Zugang zur Mystik war … sagen wir: ein bisschen vergeistigt. Ich war gut darin, das Wahre, Verbindende im Anderen zu suchen. Empathisch zu sein, mich anzupassen.
Ich konnte gut still sein, konnte Räume spüren – das Feine, das Unaussprechliche.

Abgrenzung? Körperliche Präsenz? Selbstbehauptung mit dem ganzen Körper?
Hatte ich nicht auf dem Schirm.
Nicht, weil ich sie abgelehnt hätte – sondern weil ich sie schlicht übersehen habe.


Wehrhaftigkeit kam in meiner Mystik nicht vor. Und das war mein blinder Fleck.

Andere verstehen, empathisch reagieren – immer auf der Suche nach dem Wahren im Gegenüber. Ich habe Verbindung gesucht, nicht Abgrenzung.

Vielleicht gerade deshalb habe ich nie hinterfragt, was alles nicht vorkam.

Zum Beispiel: Willenskraft. Und Körperkraft.
Christliche Mystik ist tief – keine Frage.
Aber sie wirkt oft, als wäre der Körper ein lästiges Anhängsel.
Und wenn der Körper dann doch mal mitspielen darf, dann bitte möglichst sittsam – weder zu genüsslich noch zu kraftvoll. Und schon gar nicht als Frau. Denn weibliche Kraft war in vielen spirituellen Räumen eher zu zähmen als zu zeigen – schon gar nicht mit Muskeln, Haltung oder klarer Präsenz.

Aber mein Körper?
Der hatte andere Pläne.


Qi Gong und Kung Fu – nicht als Lifestyle, sondern als Notwendigkeit.

Irgendwann reichte mir das Stillsitzen nicht mehr.
Nicht, weil es schlecht war – im Gegenteil. Ich liebe es.
Aber ich merkte: Ich verliere mich darin. Ich schwebe weg. Ich verliere meinen Stand.

Qi Gong brachte mich zurück auf den Boden.
Langsame Bewegungen, Atmen, Präsenz.
Ich lernte, im Körper zu sein, nicht nur ihn zu benutzen, um zur nächsten Meditation zu kommen.

Und dann – Kung Fu.
Klingt dramatisch. War es manchmal auch.
Denn es ging nicht nur um Technik, sondern ums Stehen. Ums Halten. Ums Nicht-Zurückweichen.
Und ehrlich? Das fällt mir immer noch schwer.


Zwischen Klarheit und Kante – warum Wehrhaftigkeit mehr ist als ein Nein.

Denn ich habe verstanden: Mystik ohne Wehrhaftigkeit bleibt zu brav.
Und Wehrhaftigkeit ohne Mystik wird schnell hart.

Ich brauche beides.
Die Stille und die Grenze.
Das Mitgefühl und die Klarheit.
Das Lauschen und das Stopp.

Manchmal wünsche ich mir, das wäre einfacher.
Dass ich mich nicht selbst überraschen müsste, wenn ich wirklich klar auftrete.

Aber vielleicht ist das genau der Weg:
Sich selbst dabei zuschauen, wie man Stück für Stück Raum einnimmt.
Nicht perfekt. Aber echt.


Wehrhaftigkeit ist kein Konzept. Es ist ein Angekommensein bei sich selbst.

Ich lerne gerade, mich nicht aus meiner Mitte herausreißen zu lassen.
Meine Kraft nicht zu entschuldigen.
Meine Grenze nicht zu erklären.

Und ich lerne, darüber zu lachen, wie lang ich gebraucht habe, um zu merken: Auch das ist Teil von Mystik – das Stehen. Das Abgrenzen. Das Sich-selbst-Verteidigen.

Vielleicht musste erst der Körper sprechen, damit ich ganz ankomme.

Nicht aus Trotz. Sondern aus Wahrheit.